Neuerscheinung: Der explizite Betrachter. Von Wolfgang Kemp
19. August 2015
Zur Rezeption zeitgenössischer Kunst
Konstanz: Konstanz University Press 2015
Zitation
„Be a participant!“, „Mach mit!“ ruft die Kunst seit den sechziger Jahren ihrem Modellbetrachter zu: dem expliziten Betrachter, der im Gegensatz zum impliziten und im Werk vorgesehenen Rezipienten jetzt direkt adressiert und zur physischen Beteiligung aufgefordert wird. Diese neue Situation erfordert eine neue Theorie: Der explizite Betrachter versucht sie zu entwerfen.
Die Gegenwartskunst hat ihren partizipatorischen Ansatz unterschiedlich ausgeformt: Das Buch von Wolfgang Kemp behandelt den Betrachter als Probanden im Erfahrungsraum der Installation (Bruce Nauman), als Akteur bei Werkhandlungen (Franz Erhard Walther), als Teilnehmer an interaktiven Settings und Prozessen (Relationale Kunst) und als „Prosumer“, der gewissermaßen Hals über Kopf in eine neue Kunst des Spektakels eintaucht (Olafur Eliasson).
Entscheidenden Anteil an diesen Ausformungen haben die Museen und Ausstellungsinstitutionen, die Rezeption und Produktion der Kunst überformen, indem sie Zugangsbedingungen festlegen und „kulturelles Kapital“ verteilen oder vorenthalten. Die früher selbstverständliche Position einer „Kunst für alle“ scheint dabei derzeit von einer Kunst für Käufer abgelöst zu werden.
1967 wurde die Rezeptionsästhetik in Konstanz geprägt. In der Bildenden Kunst erwies sich seitdem – und das bei immer wieder neuen ästhetischen Herausforderungen – keine Methode als so zeitgemäß. Der Betrachter-Teilnehmer ist dabei längst nicht mehr allein mit dem Kunstwerk: Er wird von der Institution regelrecht bevormundet und seiner Herkunft, deren soziale und bildungsmäßige Bedingungen von Pierre Bourdieu untersucht worden waren, wächst eine neue Bedeutung zu. Ist Kunstrezeption also eine elitäre, exklusive Klassensache? Man darf annehmen, dass der Boom, den die Kunstausstellungen erleben, auch das Verhalten und die Art des Publikums verändert hat. „Kunstausstellungen produzieren Ausstellungskunst“ konstatierte Werner Hofmann bereits 1970. Gilt nicht ebenso: „Kunstausstellungen produzieren Ausstellungspublikum“? Wie aber sind die damit einhergehenden Rezeptionsweisen zu deuten? Und wie mit ihnen die Kunst überhaupt? Der explizite Betrachter versucht sich an den Antworten. (Verlag)
Rezension
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Und zuletzt wird der Betrachter zum Kunden: Wolfgang Kemp zeichnet nach, wie zeitgenössische Künstler ihr Publikum ins Werk einbauen. Rezension von Julia Voss
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2015
Prof. Dr. Wolfgang Kemp hatte er von 1995 bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg inne. Das Buch basiert auf der Wolfgang-Iser-Lecture 2014, die Wolfgang Kemp im Juli 2014 an der Universität Konstanz gehalten hat.